Lernen, Komplexität zu umarmen
Wie wird 2022? Fluffig, entspannt. Easy. Das wäre schön. Doch der Eindruck drängt sich auf, dass es an der Zeit ist, unsere Hausaufgaben zu machen.
Die Ärmel - mental - hochzukrempeln und uns mit der Frage auseinanderzusetzen:
WIE WOLLEN WIR IN ZUKUNFT LEBEN?
Um mögliche Antworten zu entwickeln, ist es hilfreich, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass sich der große Wandel nicht auf bestimmte, eingegrenzte Bereiche und Systeme bezieht, sondern die Grundstruktur unserer Gesellschaft betrifft.
Die Reaktion auf diese Veränderung ist ein individuelles Gefühl der Ohnmacht und der Orientierungslosigkeit, das sich Bahn gebrochen, eine kritische Masse erreicht hat und sich jetzt in die Gesellschaft entlädt, um so zum kollektiven Gefühl der Ohnmacht und der Orientierungslosigkeit zu werden.
Die tiefe Sehnsucht nach Ordnung und Übersicht in Zeiten des Umbruchs ist nicht nur verständlich, sondern systemimmanent.
Je mehr Chaos, desto dringlicher das Verlangen, die Dinge einzuordnen und klare Antworten auf einfache Fragen zu bekommen. Das Eindeutige kämpft gegen das Uneindeutige.
Es hat den Kampf jedoch schon jetzt verloren.
Entwicklung beinhaltet immer auch Phasen des Uneindeutigen. Ohne Uneindeutigkeit keine Entwicklung. Anders gesagt: wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen, müssen wir lernen, uneindeutige Momente auszuhalten. Diese Momente bergen immer auch kreative Elemente, die ein Neudenken erst ermöglichen. Entwicklung ist nicht linear, sondern kann in unterschiedliche Richtungen gehen, sich verzweigen und verästeln, plötzlich einen völlig anderen Weg einschlagen als von außen betrachtet zuerst angenommen. Das macht Entwicklung unkontrollierbar. Und sein Ergebnis - also die Zukunft – besonders in dieser Phase kaum vorhersehbar.
Lernen, Komplexität zu umarmen
Das Prinzip des Netzwerks zu verstehen bedeutet die real-digitale Welt zu verstehen. Also eine Welt, in der die Grenzen zwischen real und digital immer mehr verschwimmen und Ökosysteme entstehen, in denen sich das Digitale und Analoge jedes Mal aufs Neue zu einer Realität miteinander verknüpfen. Das habe ich schon in meinem Artikel Fluide Sphären beschrieben.
Das kann heißen: In Zukunft ist ein Mindset gefragt, das flexibler ist, um mit der Logik eines komplexen Netzwerks besser umgehen zu können.
"Komplexität ist der Schlüssel zum Verständnis unserer Welt" sagt der Soziologe Armin Nassehi treffend.
Das bedeutet eben, weniger in einem „Entweder-Oder"- Modus zu denken, sondern viel mehr in einer "Sowohl-als-auch"-Struktur. Diese neue Denkweise umarmt die Komplexität, um aus ihr heraus neue Konzepte und Ideen zu entwickeln.
Die Struktur eines Netzwerks fördert und fordert ein Denken und Handeln im „sowohl-als-auch“ anstatt im „entweder-oder“. Es fordert und fördert einen anderen Blick auf die Welt als den bisherigen, oft eindimensionalen, monokausalen und linearen.
Die Zukunft ist immer seltener eine Gerade, die sich aus der Vergangenheit in die Gegenwart linear weiter Richtung Zukunft bewegt. Sondern ein organisch wachsendes Netzwerk, das in ständiger Wechselwirkung neue Möglichkeitsräume eröffnet.
Die Netzwerkforschung ist eine verhältnismäßig junge Disziplin. Sie wird in Zukunft allerdings sicher Fahrt aufnehmen, denn sie bildet im Prinzip unsere Gesellschaft, ja das ganze Leben auf dem Planeten Erde ab. Die Netzwerkstruktur des Digitalen treibt diese Entwicklung als systemimmanente Dimension stark voran.
Die real-digitale Welt erlebt sekündlich einen enormen „Boost“.
Die Belohnung für die Anstrengung eines Perspektivwechsels liegt in einem Erkennen von Zusammenhängen, die bisher im Verborgenen lagen. Das Geschenk ist ein frischer Blick auf die Welt, aus dem neue Ideen und Konzepte für unser Zusammenleben entstehen können.
Die wesentlichen Prämissen
Wem das alles zu theoretisch ist, sollte sich nur diese Prämissen merken:
Die Strukturform der Gesellschaft im 21. Jahrhundert ist das Netzwerk.
Netzwerke sind in ihrer Form nicht starr, sondern flexibel und adaptiv und dadurch resilienter.
Sie verknüpfen unterschiedliche Bereiche miteinander, generieren neue Schnittstellen.
Sie verändern, je nach Blickwinkel und Schwerpunkt, ihre Form, sind fluide.
Der Ein- und Austritt ist leichter als bei einer hierarchischen Form.
Wir entwickeln uns durch das Netzwerk weg vom entweder-oder hin zu einem sowohl-als-auch.
Das Digitale ist dadurch real und das Reale digital. Alles ist echt im real-digitalen Zeitalter.
Die Basis allen Denkens und Handelns im 21. Jahrhundert ist das Netzwerk.